Neulich in Handel.
Es ist Donnerstag Morgen halb Neun, Anfang Februar, ich mache mich etwas einen Monat nach dem Mord an einem jungen Kandeler Mädchen auf dem Weg in die Südpfalz. Ich kenne Kandel vom hören, da meine Familie Väterlicherseits aus Landau in der Pfalz c.a 20 Km südlich entfernt stammt und ich ein paar mal im Jahr dort bin.
Mia, so hieß das getötete Mädchen, war 15 Jahre alt und hatte eine Liebesbeziehung mit Abdul, einem ebenfalls jungen afghanischen Flüchtlling aus Kandel. Die beiden lernen sich in einer ehemaligen Kneipe mit Biergarten Außenbereich im hinteren Ortsteil von Kandel Namens Max und Moritz kennen.Dessen Räumlichkeiten jetzt als Begegnungsstätte und Lernzentrum von Flüchtlingen dient. Nachdem Mia mit Abdul Schluss gemacht hat, scheint dieser ihre Entscheidung nicht akzeptieren zu wollen. Mia erstattet Anzeige wegen Belästigung, Stalkings etc. Schliesslich verfolgt er Sie entlang einer Kernstrasse des Ortes vom Hauptbahnhof bis zum Drogeriemarkt, indem Mia gerade Fotos ausdrucken möchte als Abdul Sie niedersticht. Mia stirbt, Abdul wird festgenommen. Die Trauer und die Empörung in Handel sind groß. Der kleine ruhige Ort, bekannt für Dampfnudeln, guten Wein aus der Region steht vor der großen Frage und Herausforderung, Wie damit Umgehen ?
Wie leider so oft sind solche Schicksaalsmomente nicht nur eine Herausforderung für die Bewohner des Ortes sondern auch eine Chance für Rechte und Nazis aus der Region ihre Indoktrination an den Mann zu bringen und Slogans für sich und ihren Wahlkampf zu missbrauchen. Tropfen auf die Mühlen so zu sagen, denn machen wir uns nichts vor, Tatsache ist dass spätestens nach den Anschlägen im Jahr 2016 von Ansbach, Würzburg und Berlin ist eine bundesweite Debatte über junge Flüchtlinge, die sogar schon als Gefährder bekannt und bewacht oder gar abgeschoben werden sollten entbrannt. In Kandel kommt es kurz nach Mias Tod bei einem trauermarsch, der von rechten instrumentalisiert wird zu ersten kleineren Auseinandersetzungen mit Kandelnern die mit bunten Regenschirmen und Transparenten ein Zeichen für ein Miteinander dagegen setzen willen von einem auf alle zu schliessen. Die Polizei trennte die beiden Gruppen nach eigenen Angaben und beruhigte die „höchst emotionale Stimmung“.
Kurz drauf gibt es einen noch größeren Protestmarsch von „Kandel ist überall“, einem Kandeler Frauenbündniss welches mehr Sicherheit insbesondere für Kinder und Frauen, Schließung der Grenzen und konsequentere Abschiebungen fordert. Für Sie steht fest, Mia könnte noch leben, wenn die Behörden ihren mutmaßlichen Mörder Abdul, dessen Asylantrag bereits im Februar 2017 abgelehnt worden war, zügig abgeschoben hätte. An diesem tag sind auch 150 Gegendrmonstranten einem Aufruf verschiedener Initiativen wie „Aufstehen gegen Rassismus in der Südpfalz“ gefolgt. Sie tragen bunte Buttons mit der Aufschrift „grenzenlos menschlich“, haben Schleifen mit regenbogenfarbenem Schriftzug „Mei Kannel isch bund“. 250 Polizisten sind aus Landau angereist und begleiten den Protestmarsch, Hamburger Gitter trennen die beiden Parteien auf dem Marktplatz, verbal schenkt man sich nichts. Seitdem scheint sich die Stimmung etwas beruhigt zu haben, trotzdem ist sie nach wie vor angespannt. Nach meiner Ankunft mit einer Stunde Verspätung brauche ich erstmal einen Kaffee, ich setze mich in das auf dem Bahnhofsvorplatz gelegene Lokal „Gleis3“. Als ich das Lokal betrete, hängt meine Kamera über meiner Schulter, es herrscht eiserne Stille, alle mustern mich, ich grüße freundlich, man grüßt gedämpft zurück. Es ist 11 Uhr, als die ersten Weinschorlen getrunken werden und Schlager im Hintergrund läuft. Ich trinke meinen Kaffee aus und mache mich auf den Weg zum Drogeriemarkt, indem Mia umgebracht wurde. Es deutet nichts mehr daraufhin das dies vor kurzem noch ein blutiger Tatort oder ein Ort von Auseinandersetzungen war. Wenn man es nicht besser wüsste wäre es ein ganz normaler und fast schon schöner Ort an diesem Tag, denn dahinter beginnt ein Waldstück mit kleinem Bach und Tümpel, indem gerade die Mittagssonne sanft hineinfällt und mit Sträuchern, Bäumen und Gebüschen den Drogeriemarkt fast schon friedlich umgibt.
ich laufe durch Kandel und versuche die Stimmung des Ortes aufzufangen. Auf den ersten Blick scheint alles wie gewöhnlich, Menschen gehen einkaufen, Kinder steigen aus dem Schulbus aus oder spielen zusammen auf dem Bahnhofsvorplatz. Es ist mittlerweile Mittags und ich habe Hunger bekommen. Ich frage Menschen auf der Strasse, ob sie mir ein örtliches Restaurant empfehlen könnten. Ich habe nur ein Italienisches Restaurant gesehen und würde gerne wenn ich schon mal in der Heimat meines Vaters bin, etwas typisch Pfälzisches essen, schliesslich habe ich Familie ums Eck. Irgendwie scheint es nicht viel zu geben und das was es gibt hat wohl zu oder noch zu, viel ist hier schließlich nicht los, es gibt Leerstand, die Ländliche Strukturschwäche ist auch an Handel nicht vorbei gegangen. Schließlich empfiehlt man mir einen Metzger auf der Hauptstrasse, der auch Mittagstisch anbieten würde. Die häuslich wirkenden, älteren Damen die hinter der Theke stehen sind geschminkt, man feiert Karneval. Es ist Dreckiger Donnerstag, auch als Altweiberfastnacht bekannt. Am Tisch daneben sitzt ein älterer Mann und liest mit mürrischem Blick die Tageszeitung. Neben ihm sitzt mit einem Tisch frei dazwischen ein junger Migrant, der ein Stück Torte isst. Er Sieht meine Kamera und spricht mich direkt interessiert an, „Bist du Fotograf ?“. Ich entgegne ihm „ja und du ?“ „Ich bin Übersetzer für Flüchtlinge“.
Er heisst Tariq und kommt ursprünglich aus Afghanistan. Tariq erzählt das er seid 2-3 Jahre da sei und ursprünglich aus Kabul käme. Wir unterhalten uns auf Deutsch, er spricht gut und versteht alles was ich erzähle oder ihn Frage. Ich erzähle ihm auch, dass meine Ex Freundin auch aus Afghanistan kommt, er fragt interessiert und lachend „Eecccht ?“ „Ja echt,“ ! wir lachen.
Ich erzähle ihm das ich nur heute in Kandel bin um Fotos zu machen, er sagt das er auch nur heute zum Übersetzen da sei und eigentlich in Landau wohne, ich erzähle das dort auch ein Teil meiner Familie wohnt, wir lachen wieder. Der zeitungslesende Mann am Tisch neben uns hat spätestens jetzt das Interesse für seine Tageszeitung verloren und schaut immer wieder schmunzelnd mürrisch zu uns rüber und lauscht mit, im Hintergrund läuft Schlager DJ Ötzi, „ein stern oder deinen Namen trägt“. Die Bedienung kommt und fragt ob okay sei wenn sie die Musik noch lauter drehen würde, Tariq steht auf und sagt „hat mich gefreut ich muss zu meinem Termin“ Tschüss sagt er zu den Bedienungen Sie entgegnen „Sänk you“.