Ein Leben Lang

„Eine Landschaft neu zu entdecken bedeutet auch immer sich selbst neu zu entdecken.“
Die Geschichte „Ein Leben Lang“ erzählt über das Leben im Dorf meiner Großeltern welches trotz der Nähe zu Frankfurt eine enorme Diskrepanz zwischen meinem heutigen städtischen Leben und Ihrem im Dorf aufweist. Das Dorf Vollmerz liegt rund 80 km von der Finanzmetropole Frankfurt am Main entfernt und wirkt doch wie aus einer anderen Zeit. Vereine, früher Hauptbestandteil des sozialen Lebens, ebenso wie Dorffeste und Gottesdienste, leiden darunter, dass sich kaum ein Bewohner unter 40 Jahren in diesen Vereinen noch engagiert. Dementsprechend leer sind die Straßen, lediglch die Kinder, die mittags im Dorf aus dem Schulbus steigen, sind zu hören, ehe sie schnell wieder im Neubaugebiet verschwinden. Ausser vier Nebenerwerbslandwirte gibt es im Dorf heute nur noch, eine Gastwirtschaft, der letzte Laden, ein Frisör der im Familienbetrieb über geführt wurde, schloss kurz nach der Corona Pandemie.
Die Familie war Heimat, Rückzugsort, Produktionsstätte und Selbstversorger. Alle arbeiteten zusammen, das Meiste wurde selbst hergestellt. Vom Brot backen, Schlachten, Getreide-, Obst-, und Gemüse-Anbau, Fischzucht, bis hin zu stricken und nähen. Auch die Sorge um die Tiere, den bäuerlichen Ertrag und dessen Verarbeitung wurde stets geteilt. Zusätzlich war man eingebunden in die dörflichen sozialen Strukturen wie Feuerwehr, Jagdverband, Schützen- und Hasenverein.Ihr Leben folgte den Jahreszeiten und den daraus entstehenden Notwendigkeiten. Sie machten nie Urlaub und leisteten sich nichts was keinen Nutz-Gebrauchswert hatte. Alles fügte sich zusammen, arbeiten und leben in der Natur, für und mit dem was man hat, keine Infragestellungen. Alles wird bis zum tatsächlichen Ende benutzt, gebraucht oder repariert. Die Bilder zeigen uns ein gelebtes Gestern, das Haus und die darin lebenden Menschen spiegeln eine Zeit wieder, die mit ihren Protagonisten zusammen stirbt.
So beleuchtet die Serie nicht nur die individuelle Lebensgeschichte der Protagonisten, sondern gibt auch Einblick in die Geschichte von Teilen der Landbevölkerung. Einer Generation, die Werte und Tugenden ein Leben lang gelebt und aufrecht erhalten hat, die in der heutigen Zeit immer weniger Bedeutung haben. Die Reportage findet ihr natürliches Ende mit dem Verkauf des Hauses und dem Tod von meinem Großvater. Er starb Anfang 2014 zu Hause im Kreise seiner Familie und wurde unter großer Anteilnahme der Gemeinde und aller Vereine im Dorf beigesetzt. Jagdhornbläser und Feuerwehr-Fahnenträger erwiesen ihm die letzte Ehre. Was bleibt sind Erinnerungen aus einer anderen Zeit und der Keller voll eingemachtem Obst, die Kühltruhe voll Gemüse und dem letzten Hasen. Und meine Großmutter fragt:  „Wer soll das denn jetzt alles noch essen?“
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(FREE LONG TERM PROJECT)