Dekolonialisiert euch !

Kolonialismus: Was geht uns der heute noch an? Sehr viel mehr, als viele von uns wahrhaben wollen. Er begegnet uns in Straßennamen, im Stadtbild in Form von Denkmälern oder Gedenktafeln, Stellenbesetzungen, im täglichen Miteinander. Er bestimmt unser Weltbild und unsere Politik.

Wenn wir in Deutschland an Rassismus denken, kommen uns meistens zuerst Nazis und Rechtsextreme Gruppierungen in den Sinn. Dieses Bild ist jedoch unvollständig, denn für viele Betroffene hat der Alltagsrassismus seine Ursprünge schon in der Kolonialzeit. Dieses oft verdrängte Kapitel der deutschen Geschichte muss meinem Empfinden nach stärker in den Fokus der öffentlichen Debatte gestellt werden.

„Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der in der Schule fast nichts über die deutsche Kolonialgeschichte unterrichtet wurde. Und das scheint heute noch immer der Fall zu sein“, Alltagsrassismus, eine Form von Rassismus basiert auf der „Rassenlehre“. Der Kolonialisierungsprozess wurde von einem bestimmten Menschen- und Weltbild untermalt, an dem wir heute noch in Teilen festhalten. Nämlich das die europäischen Menschen und der europäische Kontinent als zivilisiert und Ihnen gegenüber afrikanische Menschen als primitiv angesehen werden. Und so wird der Kolonialismus zeitweilig als Wohltat dargestellt, in dem die europäischen Mächte die afrikanische Bevölkerung erziehen und zivilisieren. Durch Völkerschauen, in denen afrikanische Menschen in Europa wie Zootiere ausgestellt wurden, z.b unter anderem im Hamburger Tierpark Hagenbeck.

In Deutschland gab es bis in die 1930er Jahre etwa 400 Völkerschauen. Die erste große Völkerschau veranstaltete 1874 der Hamburger Carl Hagenbeck. Er hatte die Idee, Zoos nicht nur mit Tieren, sondern auch mit Menschen zu beliefern und sie dort auszustellen. Die Leute waren begeistert, denn sie hatten keinen Fernseher oder Farbfotos und damit auch keine Vorstellung von den Menschen in der Ferne. Es wurde das Weltbild und die Einordnung von Menschen in Rassen weiter vorangetrieben. Diese Einteilung der Menschen durch „Rassenlehre“, wurde später von den Nationalsozialisten maßgeblich für ihren Massenmord verwendet. Die Vorstellung, Europa beziehungsweise der Westen sei die Speerspitze der globalen Entwicklung und dass man von selbst dorthin gekommen sei, wo man heute steht – und eben nicht auch durch Ausbeutung von Kolonien und mit Hilfe diverser Güter und Techniken, die von dort kamen. Von Gold und Silber über die Kartoffel und den Rohrzucker bis hin zu Webtechniken für Baumwolle. Der europäische Kolonialismus war in weiten Teilen etwas ganz anderes als eine große Zivilisierungsmission, nämlich systematische Enteignung, Plünderung, Willkürherrschaft, Ausbeutung und Gewalt, bis hin zu Sklaverei und Ethnozid.

Und auch heute zahlen die sozialen und ökologischen Kosten für unsere Ernährung (ob mit oder ohne Bio-Stempel), unsere erschwingliche Kleidung, unsere billigen elektronischen Geräte und deren Entsorgung immer noch „die Anderen“ – Menschen, der dritten Welt. Dieses Weltbild und das daraus resultierende Verhalten bestimmt über Generationen hinweg unser Sozialverhalten im Alltag.


Drei Bilder wurden in der ehemaligen Lettow-Vorbeck-Kaserne in Hamburg Jenfeld im Jahr 2020
aufgenommen. Lothar von Trotha, Leopold Ludwig Wissmann sowie den ehemaligen Reichsadler.

Im Rahmen der Aufrüstung der Wehrmacht wurde die Lettow-Vorbeck-Kaserne in Hamburg-Jenfeld für militärische Nutzungen gebaut. Die Namensgebung der Kasernen und der Straßen, sowie der verwendete Bauschmuck in Form von Reliefs und Denkmälern orientierte sich an der militärischen Geschichte der ehemaligen deutschen Kolonien.Seit 2006 mietete die Bundeswehr Teile der Gebäude zurück und brachte dort studierende Offiziere der in der Nähe gelegenen Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg unter.

Im „Tansania-Park“ neben der ehemaligen Lettow-Vorbeck-Kaserne stehen seit 2002 die „Askari-Reliefs“ aus der NS-Zeit, mit denen die deutsche Kolonialzeit verherrlicht werden soll. Für den September 2003 war die Einweihung des Parks unter Teilnahme eines Regierungsmitglieds aus Tansania geplant. Doch schloss sich Tansanias damaliger Staatspräsident Frederick Sumaye der internationalen Kritik an und zog die Unterstützung für das Projekt zurück. Eine offizielle Einweihung und damit behördliche Namensvergabe fand bis heute nicht statt. Seit Anbeginn der Planung ist um den Tansania-Park in der Öffentlichkeit und den Medien eine Kontroverse entbrannt. Kritiker sehen in der unkommentierten Aufstellung der Denkmäler eine kolonialrevisionistische Heldenverehrung sowie die unkritische und verharmlosende Präsentation von Nazi-Hinterlassenschaften. Es kam mehrfach zu Demonstrationen und Protestveranstaltungen am Gelände.

Trotha und Wissmann:

Hermann Wilhelm Leopold Ludwig Wissmann, 1853 bis 1905 in war ein deutscher „Afrikaforscher“, Offizier und Kolonialbeamter. Als Reichskommissar und Befehlshaber der ersten deutschen Kolonialtruppe war er in den Jahren 1889 und 1890 verantwortlich für die Niederschlagung des Widerstandes der ostafrikanischen Küstenbevölkerung. Vom 26. April 1895 bis 3. Dezember 1896 war er Gouverneur von Deutsch-Ostafrika.Bismarck berief Wissmann zum Reichskommissar und betraute ihn mit der militärischen Niederschlagung. Die aus deutschen Offizieren und afrikanischen Söldnern zusammengestellte „Wissmann-Truppe“ war die erste deutsche Kolonialtruppe, die einen Landkrieg in Afrika führte. Wissmanns Truppen überschütteten die Aufständischen meist mit kurzem, heftigem Feuer. Eroberte Ortschaften ließ er plündern, in Brand stecken und die Felder verwüsten.

Wegen seiner grausamen Strafexpeditionen (Wissmann tötete angeblich 200 Menschen, da deren Häuptling die kaiserliche Fahne vom Mast gerissen hatte) stellte Spiegel Online ihn in eine Reihe mit anderen Kolonialverbrechern wie Lothar von Trotha, Carl Peters und Hans Dominik. Auch wird er als „Hauptakteur“ „eines der schlimmsten Verbrechen der deutschen Kolonialgeschichte“ bezeichnet, dem Schätzungen zufolge 300.000 tansanische (und 16 deutsche) Menschen zum Opfer fielen. Ihm zu Ehren ist seit 1950 die Wissmannstraße im Hamburger Bezirk Wandsbek benannt. Die Bezirksversammlung hatte 2013 beschlossen, dass die Straße umbenannt werden soll. Aber viele Anwohner protestierten: „Wir stehen zu unserem Straßennamen!“ Und so lässt die Umbenennung weiter auf sich warten.

Adrian Dietrich Lothar von Trotha 1848-1920 war ein preußischer General der Infanterie. Den Berichten zufolge wird Trotha als ausgesprochen machthungrig, hart, unnachgiebig und beratungsresistent skizziert. Lothar von Trotha befahl den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts, nachdem die Herero sich gegen die rassistische Unterdrückung der deutschen Siedler in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika wehrten. Auch die Nama wanden sich im Laufe des Jahres 1904 gegen die deutsche Besatzung und führten einen Guerillakrieg – mit einem verheerenden Ausgang. Die Niederschlagung des Herero-Aufstands unterscheidet sich von den anderen kolonialen Kriegen des Deutschen Reiches durch die unerbittliche Härte des militärischen Vorgehens, das eine völlige Vernichtung des Stammes der Herero wissentlich in Kauf nahm.Von den ca. 80 000 Herero überlebten nur wenig mehr als 15 000 den Völkermord während des Krieges und in den Konzentrationslagern. Nach ihrer Entlassung aus der Gefangenschaft wurden die Herero einem totalitären Regime unterworfen, das dem Einzelnen die persönliche Freiheit und dem Stamm der Herero seine traditionelle Lebensweise nahm.

Deutsch-Ostafrika-Ehrenmall:

Auch dieses Denkmal verherrlicht die Kolonialzeit, das „Deutsch-Ostafrika-Ehrenmal“ in Hamburg-Aumühle. Zu sehen ist ein Spähtrupp der deutschen Kolonialtruppen, bestehend aus einem deutschen Soldaten (Mitte), einem Askari-Hilfssoldaten (links) und einem afrikanischen Träger. Die drei Figuren sollen den „heroischen Widerstand der deutschen Schutztruppen in Ostafrika verkörpern“.

Afrikahaus:

Das “Afrikahaus“ steht in der Hamburger Innenstadt. Es gehörte der Familie Woermann und sollte ihren Reichtum symbolisieren. Seit 1899 ist hier der Firmensitz, das Unternehmen gibt es bis heute. Nach dem Tod seines Vaters, dem Reedereigründer Carl Woermann, übernahm der im Jahr 1847 in Hamburg geborene Adolph Woermann 1880 das florierende Unternehmen seines Vaters. Woermann wurde zu seiner Zeit mit der Woermann-Linie der größte Privatreeder der Welt und zugleich auch größter, deutscher Westafrikakaufmann. Er war Mitglied der Hamburger Bürgerschaft und Reichstagsabgeordneter in Berlin. Im Juni 1883 verfasste Adolph Woermann eine Denkschrift, in der sich der hanseatische Handel für eine neue Afrikapolitik einsetzte und Schutz durch das deutsche Reich forderte.

Neben der Sicherung des Handels vor englischer und französischer Konkurrenz und der Ausschaltung des afrikanischen Binnenhandels wurde ferner die „Erwerbung eines Küstenstriches in West-Afrika zur Gründung einer Handelskolonie Biafra Bai“, an der Küste des heutigen Kamerun oder Südostnigeria, gefordert. Aufgrund seines hohen Ansehens gelang Adolph Woermann die Durchsetzung dieser Positionen und Ziele, wobei er ab 1883 Berater von Reichskanzler Otto von Bismarck war. Kaufleute des Hamburger Unternehmens Woermann planten im Zusammenspiel mit Kolonialbeamten und Militärs, die Einwohner am Kamerun-Fluss zu vertreiben und den Zwischenhandel mit Palmöl-Lieferanten aus dem Hinterland unter Kontrolle zu bekommen. In Afrika seien zwei Schätze auszubeuten, erklärte Handelshaus-Senior Adolph Woermann, „die Fruchtbarkeit des Bodens und die Arbeitskraft vieler Millionen Neger“.

Gedenktafel:

In der St. Michaelis-Kirche in Hamburg dient eine Gedenktafel zu Ehren der in den deutschen Kolonien ums Leben gekommenen Reichssoldaten als umstrittener Gedenkort an die deutsche Kolonialzeit. Auf dieser Tafel wird an die Hamburger erinnert, die um 1900 „für Kaiser und Reich“ in China oder Afrika ums Leben gekommen sind. Die unzähligen Opfer unter der einheimischen Bevölkerung während der deutschen Kolonialzeit werden nicht erwähnt.

Straßenschild:

Alfred Graf von Waldersee 1832–1904, preußischer Offizier, Generalstabschef der kaiserlichen Armee des Deutschen Reichs, Oberbefehlshaber im „Boxerkrieg“ (1900–1901) in China.Als Stellvertreter des Generalstabschefs Helmuth Graf von Moltke entwickelte er Strategien für Präventivkriege, um Deutschlands Vorherrschaft in Europa durchzusetzen. 1900/01 erhielt er den Oberbefehl über die europäischen Interventionstruppen zur Niederschlagung des Boxeraufstand im Kaiserreich China Als Waldersee mit seiner Streitmacht in China aufkreuzte, war der chinesische Widerstand schon gebrochen und das Land „befriedet“. Zur großen Enttäuschung der Zuspätkommenden. Dennoch befahl Waldersee eine „blutige Vergeltung“. Die internationalen Truppen mit c.a 17.000 Soldaten schlugen erneut erbarmungslos zu. Auf zahlreichen „Strafexpeditionen“ folterten, vergewaltigten und massakrierten die Soldaten wehrlose Zivilisten. Sie plünderten und zerstörten die Jahrtausende alten Kulturschätze Chinas – ein Vorgehen, das alle Grenzen des geltenden Völkerrechts der Haager Konvention verletzte.